Allerletzte Option

Lilienthals Rückzug aus der Bundesliga droht den Rest der Saison ins Chaos zu stürzen. Wie konnte es so weit kommen? Und wie geht es mit dem TVL weiter? Das Floorballmag im Gespräch mit dessen Presseverantwortlichem Tobias Melde.

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Dass fünfzehn Spieler mit einem Schlag die Mannschaft verlassen, erscheint etwas verdächtig. Waren das tatsächlich alles individuelle Gründe oder gab es auch einen gemeinsamen?

Tobias Melde: Zunächst einmal freuen wir uns, dass das Floorballmag wieder am Start ist. Umso unschöner, dass wir natürlich direkt mit so einer traurigen Nachricht in die Schlagzeilen kommen. Doch die Sensationsgier nach einer Verschwörung oder ähnlichem müssen wir direkt einmal zurückweisen. Bei allen Absagen unserer Spieler handelt es sich wirklich um individuelle Gründe. Einige Spieler haben uns schon vor der aktuellen Saison darüber informiert, dass diese ihre vorerst letzte sein wird und dass sie eine Pause oder gar ein Karriereende in Erwägung ziehen. Bei den restlichen Spielern hat sich die Entwicklung, zu unserem Bedauern, leider zum Worst Case hin entwickelt. Umzüge, Studium, Ausbildung und Auslandsaufenthalte haben sich hier fixiert und deshalb für eine sichere Zusage für die nächste Saison nicht gereicht.

Also ein Zufall?

Im Endeffekt war es irgendwie ein schlechter Zufall, dass alles in einem Jahr kommt. Aber dann auch wieder nicht, weil die Optionen schon länger im Raum stand. Fakt ist aber, dass wir das nun entstandene Loch nicht mit eigenen Jugendspielern oder neuen externen Spielern stopfen können und auch nicht möchten.

Kann es sein, dass der erhebliche Aufwand der vergangenen Jahre die Spieler verheizt hat?

Der Trainings- und Spielbetrieb für Bundesligaspieler ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Das geht auch nicht anders, wenn man ein konstant hohes Spielniveau entwickeln oder seine individuelle Nationalmannschaftskarriere vorantreiben möchte. Drei Trainingseinheiten von zwei bis drei Stunden pro Woche, an den üblichen Tagen nach Möglichkeit noch individuelle Fitnesseinheiten und dann ein oder zwei Spiele am Wochenende lassen neben Job oder Ausbildung beziehungsweise Studium nunmal nicht viel mehr Freizeit für andere Dinge zu. Hier muss jeder Spieler für sich die Entscheidung treffen, ob er diesen Aufwand aufbringen kann und möchte. Der Aufwand wird aber bei allen Bundesligisten mehr oder weniger gleich hoch sein, hier sehen wir also keine Unterschiede oder den Vorwurf, dass Spieler „verheizt“ wurden.

Und darüberhinaus?

Wir haben schon seit Beginn unserer Bundesligaspielzeit versucht, und dies auch erfolgreich umgesetzt, den Aufwand, vor allem finanziell, zum Beispiel durch Leistungssportstipendien für die Nationalspieler oder Sponsoreneinnahmen, so gering wie möglich zu halten und hier die Spieler zu entlasten. Den zeitlichen und mentalen Aufwand muss aber jeder Aktive am Ende selbst aufbringen. Hier haben wir vollstes Verständnis dafür, wenn zum Beispiel bei Spielern, die fünf oder mehr Jahre diesen Aufwand betrieben haben, der Gedanke oder Wunsch nach einer Pause und einer Verlagerung der Schwerpunkte entsteht – gerade in einer Randsportart, bei der für den Einsatz in der Bundesliga auch keine Vergütung möglich ist. Mit diesem Umstand müssen aber nicht nur wir, sondern alle Vereine leben.

Ein solcher Rückzug ist sehr unüblich und mit Sicherheit auch seitens des TVL nicht erstrebenswert gewesen. Welche Fehler hat man gemacht, dass diese Situation entstand? Was hätte man wann tun müssen, um es zu verhindern?

Natürlich war der Rückzug aus der 1. Bundesliga für uns immer die allerletzte Option, an die wir lange auch gar nicht denken wollten. Die Entwicklung und Planung für die Zukunft hat sie uns aber auf den Tisch bringen lassen. Neben dem spielerischen Mehrwert für die Region und unseren grandiosen Fans steht allem aber natürlich auch ein enormer personeller und finanzieller Aufwand gegenüber, den wir, im Sinne des Gesamtvereins, frühzeitig sicherstellen müssen. Dies war nun leider nicht mehr möglich, weshalb wir in Absprache mit dem Gesamtvorstand diesen bitteren Entschluss fassen mussten, aber ihn gleichzeitig auch als Chance für die Zukunft sehen.

Das sind aber noch keine echten Versäumnisse.

Neben der etwas lückenhaften Jugendarbeit in den vergangenen Jahren, die aber auch keine fünfzehn Absagen auf einen Schlag hätte lösen können, haben wir eigentlich sehr proaktiv und frühzeitig die Entwicklungen aufgenommen und sehr früh mit der Abfrage für die nächste Saison begonnen. Natürlich haben wir auch Gespräche mit den Spielern geführt, aber im Endeffekt konnte aus nachvollziehbaren Gründen nicht die Menge an Absagen umgekehrt werden, die es gebraucht hätte, um weiterhin mit einem breiten Kader in der 1. Bundesliga wettbewerbsfähig zu sein. Wir möchten aber auf jeden Fall Gespräche und Diskussionen mit Vereinen aus der Umgebung anstreben, die vielleicht interessante Synergieeffekte mit sich bringen könnte, auch im Leistungssportbereich.

Laut Pressemitteilung sollen ja 8 Spieler bleiben. Hätte man nicht mit derart vielen Monaten Vorlauf einen ausreichenden Basiskader stellen können, den man weiterentwickelt hätte? Eben mit den Vereinen aus der Umgebung?

Bei den verbleibenden acht Spielern handelt es sich nicht nur um acht etablierte Stammkräfte, vielmehr zählen hier auch talentierte Jugendspieler dazu, die in der letzten Saison den Sprung ins erste Team geschafft haben. Aus unserer Sicht würde dieser kleine Kader nicht reichen, um einen für unsere Ansprüche hochwertigen und konstanten Spielbetrieb in der höchsten deutschen Spielklasse zu garantieren. Sollte nämlich am Ende keine wettbewerbsfähige Mannschaft zustande kommen, wären die finanziellen Folgen, wie Strafen für einen späteren Rückzug oder Strafen für Nicht-Antreten bei Spielen, enorm und nicht tragbar. Wir ziehen also den kompletten, nachhaltigen Neustart einer wackeligen Ach-und-Krach-Lösung vor, um auch langfristig in eine gute und stabile Zukunft blicken zu können und nicht jedes Jahr erneut vor dieser Entscheidung zu stehen. Hierzu gehören mit Sicherheit auch Gespräche mit anderen Vereinen in der Umgebung, die jedoch auch erstmal einiges an Zeit und Organisation brauchen werden.

Aus unserer Sicht ist diese Regelung völlig sinnbefreit und wohl auch nicht zu Ende gedacht.

Der TVL hatte durch diverse Zugänge in den vergangenen Jahren einen rasanten Leistungssprung gemacht. Hat man dabei die Jugendarbeit vernachlässigt? Hätte es einen Generationsumbruch geben müssen, den man verpasst hat?

Sicherlich müssen wir hier auch einen Fehler eingestehen und dies wird auch Teil unserer internen Analyse und Konzeptarbeit für die Zukunft sein. Einen Generationsumbruch hätte es vielleicht nicht geben müssen. Dazu ist unser Team im Durchschnittsalter eigentlich jung genug gewesen. Aber das Nachrücken von Jugendspielern hat am Ende nicht mehr das erforderliche Ausmaß angenommen. Dabei muss man fairerweise auch sagen, dass fünfzehn fehlende Spieler, also eine komplette Mannschaft mit drei Reihen, niemals über die eigene Jugend kompensiert werden können.

Aber das hätte ja auch schrittweise erfolgen können.

Vor vier, fünf Jahren hatten wir diverse Probleme, die jeder Verein kennt, wie die sportliche Konkurrenz im Ort, nicht besetze Ehrenämter, fehlende Hallenzeiten. Die Folge war ein Defizit in der Jugendarbeit, das jetzt natürlich umso stärker zum Tragen kommt. In den letzten Jahren hat sich die Arbeit hier deutlich verbessert und strukturiert, so dass wir zusammen durch Schulkooperationen wieder viel Zulauf in den jungen Jugendteams bekommen. Bis diese jedoch Früchte tragen, dauert es natürlich noch ein paar Jahre.

Die Regularien sehen vor, dass ihr nach der Ligaphase auf den letzten Platz gesetzt werdet und danach keine Spiele mehr bestreiten dürft. Auch die Playoffs nicht. Die Vereine hinter euch rücken entsprechend auf.

Aus unserer Sicht ist diese Regelung völlig sinnbefreit und wohl auch nicht zu Ende gedacht. Wahrscheinlich wurde auch nicht mit dem Fall gerechnet, dass ein Playoffs-Kandidat einen frühzeitigen Rückzug beschließt.

Verbandspräsident Jan Hoffmann hat den Bundesliga-Vereinen eine Ausnahme-Regelung vorgeschlagen. Ihr nach dürftet ihr an den Playoffs teilnehmen und würdet erst danach ausscheiden. Es müssen aber alle Teams zustimmen.

Das wäre auf jeden Fall sinnvoll. Schließlich würde die Regelung sonst einen Eingriff in die aktuelle Saison bedeuten, obwohl wir eine Entscheidung für die nächste Saison getroffen haben. Auf einem Schlag wäre für uns die Saison bei noch fünf ausstehenden Spielen vorbei. Alle Ergebnisse der kommenden Partien wären für uns hinfällig, hätten aber einen enormen Einfluss auf die Platzierungen der restlichen Teams und damit auf den Abstiegskampf und auf die Playoffs. Die Motivation bei den Spielern würde sicherlich merkbar sinken. Warum sollte man beispielsweise noch mit einem vollen Kader eine zwölfstündige Fahrt nach Chemnitz auf sich nehmen? Warum sollte ein Team aus Kaufering die weite Anreise antreten, wenn das Spielergebnis völlig wertlos erscheint? Wie fühlen sich die Teams, gegen die wir bereits gespielt und ggf. gewonnen haben, wenn jetzt nur aus Vermeidung einer Strafgebühr gegen andere Teams angetreten wird? Wie sollen wir noch Zuschauer für die restlichen vier Heimspiele animieren, in die Halle zu kommen und Eintritt zu zahlen? Wie könnte man all das Geld, was man jetzt für wertlose Spiele an Fahrtkosten, Schiedsrichterkosten oder Sanitäter ausgibt, sinnvoller nutzen?

Ihr hattet in einem Schreiben an die restlichen Vereine auch die Entwicklung der Nationalspieler angesprochen.

Genau. Wir möchten Maximilian Spöhle, der Anfang Mai eine wichtige Rolle im U19 Nationalteam bei der Weltmeisterschaft in Kanada spielt, auch bis zum Schluss die notwendige Vorbereitung auf hohem spielerischen Niveau ermöglichen. Anfängliche Freude von Vereinen, so vielleicht dem Abstieg aus dem Weg zu gehen, müssen wirklich ernste Argumente dagegen gewogen werden. Wir hoffen hier auf eine gemeinsame Haltung der Ligateams, um ein sportlich faires Ende der Saison umzusetzen.

Beim TVL soll die Abteilung jetzt neu aufgebaut werden. Welche Spieler werden bleiben und wer soll den Wiederaufbau gestalten?

Mit unserem Head Coach Jesse Backman sind wir derzeit in Gesprächen. Natürlich hatte er sich zu Beginn der Saison eine völlig andere Zukunft vorgestellt. Diese veränderten Rahmenbedingungen müssen nun erst einmal in Ruhe besprochen werden. Von Spielerseite her möchten wir keine konkreten Namen nennen. Wir sind mit den verbliebenen Spielern im regen Austausch, wie der Neuaufbau gestaltet werden soll. Natürlich ist der Neustart auch bei den Spielern an gewisse Bedingungen geknüpft, die wir nun bis zur nächsten Saison gemeinsam besprechen. Der Fokus für das Team liegt aktuell aber weiterhin auf der laufenden Saison. Deshalb möchten wir hier auch keine Namen oder Ergebnisse unserer internen Kaderplanung preisgeben.

Fotos: TV Lilienthal / Günter Pape (1), TV Lilienthal (2), TV Lilienthal / Christine Höfelmeyer (3)