Floorball und der Olympische Traum

Floorball muss auf die Olympischen Spiele also weiter warten. Oder andersrum. Vielleicht zurecht? Wie funktioniert eigentlich die Aufnahme ins olympische Programm? Was würde sie wirklich bringen? Und wann klappt’s denn nun endlich?

Alle vier Jahre brechen weltweit tausende Floorballherzen. Knacks. Da sind sie gerade erst verheilt und plötzlich passiert’s schon wieder. Knacks. Und es tut so weh. Es geschieht meist völlig unerwartet, immer dann, wenn die Olympischen Spiele gerade in die Gänge gekommen sind, wenn jeder vom großen Sport spricht, vom „Treffen der Jugend der Welt“. Irgendein Athlet oder eine Athletin bricht irgendeinen Rekord, wird gefeiert. Echte Floorballerinnen und echte Floorballer feiern mit.

Aber dann. Knacks. Unerwartete Schalte zu einer anderen Disziplin. Ohne Vorwarnung. Plötzlich gehören der Bildschirm und damit die Aufmerksamkeit von Milliarden Menschen weltweit einer Sportart gewordenen Beleidigung: Dressurreiten. Ist es überhaupt eine Sportart? Diese Parade geknechteter Tiere. Ein Wettbewerb, der sich vermutlich nur deshalb im olympischen Programm hält, weil irgendjemand irgendwo zu viel Geld hat. Knacks. Herzbruch. Dressurreiten. Nicht euer Ernst. Und was ist mit Floorball?

Vor Kurzem nannte das Organisationskommittee der Olympischen Spiele 2024 in Paris seine obligatorische Empfehlung für die Aufnahme neuer Disziplinen. Neben den bereits für Tokio 2020 registrierten Sportarten Sportklettern, Skateboard und Surfen, nannte Paris zusätzlich nur eine: Breakdance. Dass die Amerikaner für Los Angeles 2028 Floorball nominieren, ist unwahrscheinlich. Das Warten wird also noch weitergehen. Wahrscheinlich für sehr lange.

Sehr weiche Kriterien

Die Sportauswahl des IOC ist so eine Sache. Gewiss ist das regelmäßige Auswerten und langfristige Planen des Programms eine komplexe Angelegenheit. Um aufgenommen werden zu können, müssen zunächst folgende Bedingungen erfüllt sein: Als Männerdisziplin hat die Sportart in 75 Ländern vertreten zu sein, bei Frauen sind es nur 40, und beides auf mindestens vier Kontinenten. Der Weltverband muss vom IOC anerkannt sein, ein mechanischer Antrieb (Motorsport) ist nicht erlaubt. Mit der Vertretung in 75 Ländern hat Floorball noch zu kämpfen, die restlichen Kriterien wären erfüllt.

Leider kommen aber noch diverse „Softskills“ hinzu, und die sind für Floorball Segen und Fluch zugleich. Beliebtheit, olympische Tradition, Arbeit der Dachverbände, allgemeine gesellschaftliche Trends, Kosten oder Interessen des lokalen Ausrichters. Solche „weichen“ Kriterien ermöglichen es dem IOC, das Programm so zu gestalten, wie es den Interessen hinter den Kulissen passt.

Vermutlich wird es früher Olympiasieger im FIFA-Zocken als im Floorball geben.

Dressurreiten würde bei allen diesen Kategorien durchfallen. Die Beliebtheit der Sportart im Vergleich zu Rugby oder Baseball, also Sportarten, die Jahrelang gefehlt haben, ist winzig. Der Umgang mit den Tieren (Stichwort „Rollkur“) ist vorsichtig gesagt kritisch. Ein Trendsport ist Dressurreiten ebenso wenig und dass der Transport eines (!) Pferdes zu den Olympischen Spielen in Rio im Schnitt 20.000 € gekostet haben soll, ist geradezu obszön.

Nun ist Dressurreiten ein beliebtes, weil einfaches Ziel. Wäre das IOC aber konsequent, müssten beispielsweise alle Sportarten deren Verbände bei der Dopingbekämpfung versagt haben, zumindest temporär gestrichen werden. Radsport, raus. Biathlon, raus. Vom Fernsehen werden sie sowieso genug hofiert. Auch Sportarten, die unter dem Vorwand der „Professionalisierung“ nur ein mageres Destillat ihrer Athletinnen und Athleten zu den Olympischen Spielen schicken, müssten eigentlich blockiert werden. Fußball, Boxen und leider auch Eishockey. Warum werden nicht Sportarten bevorzugt, für die Olympia tatsächlich das Fest der Feste ist? Tja, warum wohl?

Hat’s Floorball wirklich verdient? Vielleicht.

Eine solche Konsequenz würde das IOC vermutlich viele Millionen Dollar kosten – an Sponsorengeldern, an Übertragungsrechten, vielleicht auch an anderem Geld, von dem niemand etwas weiß. Doch auch wenn die Welt eine faire wäre, das IOC Tabula rasa machen und das olympische Programm komplett neu, den tatsächlichen Kriterien entsprechend befüllen würde, dürfte Floorball dabei sein?

Um diese Frage zu beantworten, müssten die Kriterien zunächst deutlich trennschärfer sein. Was bedeutet Beliebtheit? Bedeutet sie Geld? Anzahl an Aktiven? Fernsehzuschauer? Natürlich interessieren American Football oder Golf weitaus mehr Menschen als Floorball. Auch die Neudefinition einer Sportart würde eine Rolle spielen. Das massive Interesse und das große Geld haben beispielsweise eSports bereits ins Programm der Asian Games gehievt. „Mechanischer Antrieb“ hin oder her. Vermutlich wird es also früher Olympiasieger im FIFA-Spielen als im Floorball geben.

Aktuell liegt Floorball im Vergleich mit vielen anderen nicht-olympischen Sportarten in diversen Wertungen zurück. Die empirisch eindeutigste ist die Zahl der Verbandsmitglieder. In der Bestandserhebung des DOSB vegetiert Floorball auf dem 54. Platz – hinter den Keglern, Footballern, Kickboxern, Baseballern, Sportakrobaten, ja sogar hinter den Boule-Spielern, Eisstock-Schützen, Sporttauchern und seit Neuestem auch Cheerleadern. International ist die Situation nicht viel besser, kommen dort noch weitere Sportarten hinzu, die in Deutschland keine Rolle spielen, woanders aber Millionen begeistern, etwa Cricket.

Wenn also abschreiben, dann bitte nicht von den Handballern, sondern lieber von den Snowboardern.

Eine weitere Variabel ist die Kapazität der Veranstaltung. Olympische Spiele verschlingen Milliarden. Der Ausbau lokaler Infrastruktur ist meistens eine absolute Verschwendung, ohne jegliche Nachhaltigkeit. Trotzdem ist das Programm aber nicht bis ins Unendliche aufblasbar. Auch deshalb ist davon auszugehen, dass die erste mögliche Aufnahme von Floorball, eines Tages, irgendwann in ferner Zukunft, eine schwerwiegende Wandlung der Sportart erfordern wird. 3 x 15 Spielminuten? 15 Feldspieler? Bestenfalls. Wie wäre es mit Kleinfeld bei Olympia? Das mag idiotisch klingen, aber das Siebener-Rugby hat es vorgemacht. Wären wir bereit diesen Preis zu zahlen? Sind wir so einfach zu haben?

Was bringt Olympia eigentlich?

Auf jeden Fall. Nun können weder Rugby (Rückkehr nach 94 Jahren in 2016) noch Curling (Rückkehr nach 56 Jahren in 1988) von einem Boom berichten, den ihnen ihr Olympia-Auftritt beschert hätte. Tatsächlich lassen sich solche Entwicklungen aber nicht wirklich vergleichen. Dafür entscheiden sich die Bezugsruppen viel zu stark. Auch war Rugby schon vor seiner Olympia-Rückkehr eine bekannte Sportart, für viele (insbesondere für Eltern) aber aufgrund seiner Natur einfach unattraktiv gewesen. Curling kann einmal alle vier Jahre sehr unterhaltsam sein, sexy ist es aber nicht und skalierbar aufgrund fehlender Spielflächen ebenso wenig.

Auch spielt der Entwicklungsstand eine wesentliche Rolle. Feldhockey, Handball oder Eishockey beschweren sich nicht nur über zu wenig Fernsehpräsenz. Sie stören sich auch daran, dass das Interesse an den Sportarten, nach einer medialisierten Großveranstaltung, schnell wieder abebbt. Hier liegt es aber (ähnlich wie bei Rugby) daran, dass es sich um Disziplinen handelt, die bereits eine bestimmte Sättigung erreicht haben. Jedes weitere Mitglied wird nicht mehr nur übers Sehen der Sportart akquiriert. Floorball hingegen ist weitestgehend unbekannt. Es hat somit noch viel mehr Luft nach oben übrig.

Denn wo Floorball eine echte Chance bekommen hat, hat es die Massen erreicht. Eine Entwicklung wie in Tschechien oder Schweden ist in Deutschland zwar zwecks diverser Gründe (Fläche, Sporttradition u.ä.) unwahrscheinlich. Da in fast jeder Schule aber ein Floorball-Set verstaubt, die meisten Lehrer nur nicht wissen, was sie damit anfangen sollen, könnte eine olympische Teilnahme hierzulande vielleicht tatsächlich jenen „schlafenden Riesen“ wecken, von dem schon lange die Rede war.

Könnte. Müsste aber nicht. Denn damit eine Sportart ihren olympischen Auftritt tatsächlich verwerten kann, müssen ihre wichtigsten Organe darauf vorbereitet sein. Sie haben nur einen Schuss alle vier Jahre. Der deutsche Dachverband müsste mit seinen Landesverbänden ein umfassendes „Aktivierungsprogramm“ fahren, eine teure Kampagne, mit der man nach dem ersten (wenn möglich sogar deutschen) Spiel bei Olympia hunderte, wenn nicht tausende Vereine, Sponsoren und Medien triggert. Von einer solchen Symbiose, geschweige von einer adäquaten Organisation ist man aber weit entfernt.

Wie kann es trotzdem klappen?

Unter den aktuell vorherrschenden Bedingungen, bleibt Floorball erst einmal nichts anderes übrig als den konventionellen Weg zu gehen. Wachsen, professionalisieren und Klinkenputzen bis sie strahlen. Das Meiste davon leisten die IFF und die nationalen Verbände bereits. Wie gut sie es tun, ist schwer einzuschätzen. Denn die großen Wahrheiten werden in Hinterzimmern ausgesprochen und verlassen selten den Raum. Die World Games waren ein wichtiger Schritt, um die praktische Umsetzung und die Zusammenarbeit mit dem Verband zu prüfen.

Der mit Abstand kürzeste und vermutlich auch realistischste Weg, wäre die Austragung der Spiele durch ein floorballaffines Land.

Was Floorball aber noch fehlt, ist eine klügere Positionierung. Denn aktuell versuchen die meisten Verbände, inklusive des Weltverbandes, mit ihrem Auftritt und der gesamten Aufmachung bereits existierende Sportarten, hier Handball, woanders vielleicht Eishockey, zu imitieren. Das ist aber der falsche Weg. Denn genau hier liegt der größte Trumph, den Floorball in den Händen hält. Eine extrem junge Zielgruppe, genau jene, zu der das IOC verzweifelt Zugang sucht. Aktuell erreicht es sie nur über Individualsportarten. Diesem Vorteil müsste man in einer vollkommen neuen Aufmachung nachgehen. Wenn also abschreiben, dann bitte nicht von den Handballern, sondern lieber von den Snowboardern – oder jetzt eben von den Breakdancern.

Nicht dass dies zwangsläufig Floorball einen Tag näher an eine Teilnahme brächte. Die Sportart wäre aber deutlich interessanter, hätte Alleinstellungsmerkmale, die ihr abseits der Spielfläche aktuell fehlen. Und sollte das IOC doch schon früher das Programm überarbeiten wollen, vielleicht sogar mit dem ab und zu erwähnten Rotationsprinzip, bei dem sich bestimmte Sportarten abwechseln sollen, stünden die Chancen um einiges besser.

Aber um ehrlich zu sich selbst zu sein, mit Hinblick auf die aktuellen Verfahren und Interessen im olympischen Betrieb sieht es mit einer baldigen Aufnahme ins Programm eher schlecht aus. Der mit Abstand kürzeste und vermutlich auch realistischste Weg, wäre die Austragung der Spiele durch ein floorballaffines Land. Also optimal Schweden, Finnland, Tschechien oder die Schweiz. Die nächsten, noch zu vergebenden Spiele finden 2032 statt. Noch wurden die Bewerber nicht offiziell bekannt gegeben, einige haben ihr Interesse aber schon bekundet. Der aktuell floorballaffinste unter ihnen: Deutschland. Knacks.

Vielleicht 2036? Mika Kohonen wird dann 59 Jahre alt sein. Reicht noch fürs Powerplay. Knacks.

Foto: Ondrej Klima