Vor Kurzem hatte Pavel Lubentsov, Torhüter beim Deutschen Meister MFBC Leipzig, mit einem offenen Brief vor einer drohenden Goalie-Misere gewarnt. In diesem Artikel greift er konkrete Ansätze auf, wie die Torhüter-Ausbildung in Deutschland mit einfachen Mitteln und systematisch verbessert werden kann.
Von Pavel Lubentsov
Vor ein paar Wochen, wurde meine offizielle Mail an die Landesverbände und Vereine zum aktuellen Torhüterstand in Deutschland auch im Floorballmag veröffentlicht. Der Rücklauf dazu war wirklich sehr groß. Es haben sich viele Vereine und Verbände bei mir gemeldet und Interesse an der Torhüterausbildung und meinem Angebot gezeigt. Zunächst vielen Dank dafür.
Im Rahmen dieser Veröffentlichung stellte das Floorballmag die Frage, ob Deutschland ein Problem auf der Torhüterposition habe. Diese Frage kann ich nur mit einem klaren „Ja“ beantworten. Und das Problem hat sich schon in den letzten Jahren angedeutet. Bis jetzt sind wir gut durchgekommen, aber je näher wir an die Weltspitze heranrücken, desto größer werden die Anforderungen und Herausforderungen, desto härter werden wir diese Wahrheit zu spüren bekommen.
Ich möchte auf diesem Wege das wichtige und stark vernachlässigte Thema „Torhüterausbildung in Deutschland“ zur Sprache bringen und versuchen, die Floorballszene und ihre Entscheidungsträger mit konkreten Argumenten für ein entsprechendes Umdenken zu sensibilisieren. Ich habe in meiner Mail bereits darauf hingewiesen, warum die Torhüterausbildung wesentlich ist, um an die Spitze der Welt anzuschließen – und dort auch zu bleiben. Schlussendlich ist dies ein wichtiges Ziel des Dachverbandes und unser aller für die kommenden Jahren, um unsere Sportart auf nationaler wie internationaler Ebene sichtbar zu machen.
Unnötige Berührungsängste
Fangen wir zunächst damit an, wozu wir überhaupt gute Torhüter brauchen. Klingt zunächst etwas banal. Aber Fakt ist, dass durch die komplett andere Spielweise, ein komplett anderes Spielgerät und die von der IFF festgelegten Regeln der Torhüter für eine Mannschaft im Floorball unglaublich viele Funktionen bietet – sowohl in der Defensivarbeit, als auch in der Offensivarbeit.
Ein Torhüter mit einer hohen Fangquote sorgt ständig für sicheren Ballbesitz und Ruhe nach einer intensiven Verteidigungsphase. Ein Torhüter mit einem exzellenten Auswurf ist immer offensiv gefährlich und hat einen wichtigen Anteil am eigenen Konterspiel. Dies nur um zwei Beispiele zu nennen.
Als nächstes stellt sich die Frage, „Wie kommen wir an Torhüter?“. Ich habe mittlerweile sehr oft bei anderen Vereinen und Teams, auch im Ausland, gesehen, dass der ungeschickteste, motorisch schwächste, vielleicht sogar dickste Spieler ins Tor gesetzt wird. Das mag überspitzt klingen, ist aber tatsächlich weit verbreitet. In meinen Augen ist das fatal. Denn schlussendlich führt dies nur eine „Selbsterfüllende Prophezeiung“. Wissen die Kids, dass man eigentlich nicht ins Tor wollen soll, weil dort nur die Ungeschickten landen, wird auch niemand Lust auf diese Aufgabe haben.
Torhüterinnen und Torhüter sollen sich auf ihrer Position wohlfühlen, denn nur dann hat man wirklich Spaß am Sport und an seiner Rolle im Team. Jemanden einfach eine Ausrüstung aufzudrücken, ist keine erfolgversprechende Lösung. Statt dessen sollte man Neugier wecken, etwa fragen, „Wer will?“ oder „Wer möchte probieren?“, optimal in Begleitung eines ausgerüsteten, erfahren Torhüters, der zuvor erklärt, weshalb es ihm im Tor derart Spaß macht.
Der Wille ist nämlich absolut entscheidend, denn nur Kinder, die sich für die Position interessieren und das Torhütersein ansprechend finden, werden jenen Spaß am Sport und ihrer Rolle finden. Sie werden sich außerdem schneller und viel effektiver entwickeln.
Fragt man etwa in einer U11, wer ins Tor möchte, gehen in der Regel mindestens fünf von zehn Händepaaren hoch. Denn eine (Goalie-Aus-)Rüstung zu tragen wirkt aufregend und spannend. Auch aus diesem Grund ist es ratsam, ordentliches Torhütermaterial vorrätig zu haben – Schoner, fesches Trikot, Helm und alles in einem soliden, vor allem frischen Zustand. So etwas motiviert. Oder verschreckt.
Es ist einzigartig, Goalie zu sein, weil man eben nicht wie jeder Spieler einen Schläger in der Hand hat und auf Torejagd geht. Die vollkommen andere Aufgabe und eben auch die Rüstung machen den Goalie zu etwas Besonderem in der Mannschaft. Und das ist der Reiz, der dafür sorgt, dass es immer Kinder geben wird, die ins Tor gehen wollen. Da braucht es oft keine Überredungskunst.
Später Start
Es ist von großem Vorteil, wenn jeder Feldspieler mehrere Trainings im Tor verbringt und jeder Torhüter auch mal mit einem Schläger übers Feld läuft. Eine solche Erfahrung hilft dabei die Herausforderungen seines Gegenüber zu verstehen. Denn wenn man seinen Gegner versteht, versteht wie er denkt und mit welchen Problemen und Situationen er umgehen muss, erlangt man einen erheblichen Vorteil auf der eigenen Position. Dies gilt aber nur bei temporären Einsätzen.
Denn eigentlich ist das größte Problem ein anderes: Warum müssen die meisten Torhüter in Deutschland ihre Karriere als Feldspieler beginnen? In vielen Bundesländern wird auf große Tore erst ab der U13 gespielt. Der Sinn davon ergibt sich mir überhaupt nicht. Häufig kommt das Argument, dass die Tore zu groß sind und deswegen in den jüngeren Ligen zu viele Gegentore fallen. Absoluter Unsinn.
Vor Kurzem hat der SC DHfK Leipzig im tschechischen Tachov Erfahrungen sammeln können, wie in einem der Top-Länder mit dieser Herausforderung umgegangen wird. Das Tor wird einfach in der Höhe verkleinert. Ob nun durch eine spezielle Kunsstoff-Vorrichtung, ein einfaches Brett, eine Plane, die den oberen Teil des Tores abdeckt, oder speziell angefertigte „kleinere Großfeld-Tore“. Eine hervorragende Lösung.
Das Tor ist der Körpergröße der kleinen Torhüter angepasst und die Feldspieler haben es nicht mehr so einfach Tore zu schießen. Torhüterausbildung und Präzisionsfähigkeit der Feldspieler werden mit einem Schlag deutlich verbessert. Denn nicht nur dass Goalies schon viel früher ausgebildet werden können. Auch Feldspieler sammeln eher Erfahrungen damit, Tore im Angesicht eines maskierten Gegenspielers zu sammeln.
Im Rahmen der Ligenplanung bei den ostdeutschen Landesverbänden habe ich eine solche Lösung mehrfach vorgeschlagen. Entweder wurden meine Anliegen aber gar nicht aufgearbeitet oder sie wurden argumentationslos abgelehnt. Ein Eigentor und Beweis, dass niemand mitdenken möchte.
In anderen Gesprächen kommt hin und wieder die Antwort, es sei in der U9 und U11 zu früh, mit Torhütern zu spielen. Einfach so. Ohne Begründung. Nun ist die Sache aber wie folgt: Aufgrund des fehlenden Junioren-Spielbetriebs kommen die besseren Goalies mit 16 oder 17 Jahren in die Bundesliga. Wenn sie also mit 11 oder 12 das erste Mal im Kasten standen, hatten die Vereine bestenfalls fünf Jahre Zeit um einen Torhüter ordentlich auszubilden. Unter solchen Voraussetzungen kann die Torhüterausbildung nicht früh genug beginnen.
Natürlich ist es auch ein grundsätzliches Problem Spieler mit 16 Jahren schon in die Bundesliga holen zu müssen, doch das ist eine andere Streitfrage, deren Erörterung den Rahmen und Schwerpunkt dieses Artikels sprengen würde.
„Goldenes Alter“ nutzen
Ein weiteres Argument, die Ausbildung vorzuziehen, ist das „goldene Alter“. Prinzipiell ein sehr strittiger Begriff, umfasst er meist die Altersspanne zwischen 9 und 12 Jahren. In dieser Zeit soll die sport-motorische Entwicklung eines Kindes am schnellsten und effektivsten verlaufen.
In diesem besonders wichtigem Lernalter sind die Kinder auch kognitiv auf einem Höhepunkt. Hohes Selbstvertrauen und hohe Lernbereitschaft sowie auch das hohe Konzentrationsvermögen sorgen für eine sprunghafte Entwicklung vor allem im koordinativen Bereich. In diesem Lernalter kann man wichtige Automatismen, wie z.B. die Grundposition oder auch die Verschiebetechniken am einfachsten und am schnellsten antrainieren.
In den meisten Landesverbänden verlieren zukünftige Torhüter diese Jahre, weil sie in jenem Alter noch mit Schläger herumlaufen müssen. Bei aller Liebe, aber das Spiel auf kleine Tore ist einfach nicht Floorball. Es ist eine funktionale Alternative für gelegentliche Hobby-Sportler, etwa im Betriebssport, Schulsport oder auf Straßenfesten. Hier und nur hier hat es auch seine Berechtigung. Im regulären Spielbetrieb wird aber auf Tore mit einem Torhüter gespielt – so wie im Fußball, Eis- und Feldhockey oder Handball auch. Aus diesem Grund fordere ich alle betroffenen Landesverbände auf, sich mit diesem Thema zu befassen und umzudenken.
Abschließend möchte ich noch die Rolle der Trainerinnen und Trainer ansprechen. Wie für einen Feldspieler, ist es auch für Coaches wichtig, Probleme, Herausforderungen und Bewegungsabläufe von Goalies zu verstehen. Gerade aufgrund der geringen Anzahl ausgebildeter Coaches, können sich diese selten auf die Unterstützung durch Spezialisten verlassen. Sie müssen sich deshalb eine eigene Expertise zur Ausbildung von Torhütern aneignen.
Dazu gehört im Übrigen auch die Selektion, beziehungsweise die Entscheidung, welcher Goalie ein Spiel spielen darf. Aber an welchen Punkten macht ein Coach diese Entscheidung fest? Ist es bloß der allgemeine Eindruck während einer Trainingswoche, in der der Coach fünfmal kurz auf den Torhüter schauen konnte, vielleicht sogar im falschen Moment oder bei einer besonders schlecht aufgelegten Abwehr? Oder schlimmer noch, wartet er das 30-minütige Warmup vorm Bully ab?
Ein Cheftrainer muss nicht nur die Feldspieler gemäß richtiger Kategorien bewerten können, sondern auch die Torhüter. In meinen Augen hat jeder Spieler das Recht zu erfahren, warum er spielen durfte oder eben keine Spielzeit bekam. Die Begründung muss außerdem konstruktiv und hilfreich sein. Ein reines „Bauchgefühl“ reicht nicht aus. Kann ich als Coach keine Begründung liefern, sollte ich meine Entscheidungsfindung überdenken.
Natürlich interessieren mich sowie alle anderen Floorballerinnen und Floorballer auch Eure Ideen und Erfahrungen. Wie denkt Ihr über die angesprochenen Probleme? Habt Ihr andere Vorschläge, kennt Ihr andere Hindernisse? Traut Euch Eure Meinung zu äußern. Nur wenn alle mitmachen und mitdenken, kann ein Dialog entstehen, können wir Erfolge erreichen und schrittweise unseren Sport voranbringen.