Systemfehler? Denkfehler!

Entwicklung lebt vom Diskurs. Jürgen Wetteroth, Präsident des Floorball-Verbandes Baden-Württemberg, liefert in seinem Gastbeitrag fürs Floorballmag eine eigene Perspektive zur aktuellen Situation. Über Fundamente, Föderalismus und Floorballentwicklung.

Ein Gastbeitrag von Jürgen Wetteroth

„Schwerfällige Entscheidungsprozesse“, „katastrophale Kommunikation“ und „Überlastung an allen Fronten“. Seine Analyse der Situation bei Floorball Deutschland (FD) bringt Jan Kratochvil zum Fazit, der Nationalverband leide an einem „Systemfehler“ und bedürfe eines Neustarts. – Dem kann ich zwar grundsätzlich beipflichten, sehe dabei jedoch auch einen blinden Fleck.

So viel ist klar: Ohne ehrenamtliches Engagement ist keine Verbandsarbeit möglich. Die Aufgaben auf Bundesebene sind jedoch schon längst nicht mehr rein ehrenamtlich zu schultern. Stattdessen bedarf es beider Faktoren. Aus diesem Grund beschloss die FD-Delegiertenversammlung 2010 die Einführung von Spielerlizenzgebühren, um eine bezahlte Geschäftsstelle auf FD-Ebene zu schaffen. 

Floorball Deutschland hat seitdem mehrere Krisen durchlaufen und wechselnde Vorstände erlebt, die allesamt des Problems nicht Herr werden konnten. Neben finanziellen Fehlkalkulationen und Problemen, wie z.B. bei der U19-WM 2013 in Hamburg, war es vor allem immer wieder der Ausfall von ehrenamtlich Engagierten in Schlüsselpositionen, die zu neuen Krisen führten. 

In der Folge stauten sich wichtige Aufgaben an, kommuniziert wurde dies nur mangelhaft oder im dümmsten Fall gar nicht, andere Personen mit eigentlich ganz anderen Tätigkeitsfeldern mussten dafür in die Bresche springen, und all das noch dazu unter den kritischen Blicken der Szene, die an solche Krisen zwangsweise gewöhnt war und deshalb nichts Besseres erwartete. 

Das Ganze ist ein Teufelskreis, denn in diesem Klima ist es umso schwerer, ehrenamtliche Helfer für die Verbandsarbeit zu finden, zumal auf sämtlichen Ebenen der Gesellschaft ein Rückgang des Engagements konstatiert werden muss. Dies trifft eine junge Szene wie unsere besonders hart, da eine ältere Generation fehlt, die sich nach dem Ende ihrer Spielerkarriere im Verband engagiert.

Also braucht es die bereits angesprochene bezahlte Geschäftsstelle, wobei dies selbstverständlich nicht nur für unseren Bundesverband gilt, sondern eben gerade auch für die Landesverbände von Floorball Deutschland. Denn ihnen gegenüber wachsen die Ansprüche ihrer Mitglieder ebenso wie auf nationaler Ebene, und was geschieht, wenn man nicht rechtzeitig in die Schaffung bezahlter Strukturen investiert, lehren leider die Schattenseiten der Geschichte von FD.

Es mag sein, dass der Föderalismus in Deutschland Entwicklungen ausbremsen kann, was gerade für eine aufstrebende Sportart wie unsere ein Problem darstellt. Föderalismus ist aber nun mal ein Teil des deutschen Systems, auch auf sportlicher Ebene. Parallel zur Bundesrepublik sind der DOSB und seine Fachverbände föderal aufgebaut, und Befürworter einer starken Zentralstruktur, wie sie (meines Wissens) in den großen vier Floorballnationen existiert, sollten nicht vergessen, dass es sich dabei nicht um Länder mit 80 Millionen Einwohnern handelt.

Insofern ist es müßig, sich eine stärkere Zentrale zu wünschen. Man sollte stattdessen die Realität akzeptieren, dass es nicht einen Floorballverband in Deutschland gibt, sondern über ein Dutzend.

Unser Landesverband z.B. leitet einen guten Teil dessen, was unsere Mitglieder uns zahlen, direkt an FD weiter, um dessen Geschäftsstelle mitzufinanzieren. Das heißt, wir organisieren ohne Zutun von FD unseren regionalen Spielbetrieb, woraus der Bundesverband Gelder erhält, auch wenn am Ende nur die besten Teams und Spieler unseres Landes durch die Teilnahme an DMs, Bundesligen oder Nationalteams von den Leistungen des Bundesverbandes profitieren. Das ist die Ordnung der Dinge, und wir erkennen durchaus den Mehrwert, den die ganze Szene daraus hat. Wir sind daher gerne bereit, unseren Teil dazu beizutragen, damit das große Ganze funktionieren kann.

Die Landesverbände finanzieren (neben den Bundesligisten, die direkt von FD profitieren) einen Großteil des Bundeshaushaltes, und dies hat nun mal einen Preis, nämlich Mitbestimmungsrechte im Rahmen des Gesamtvorstands und bei der Bewilligung des Bundeshaushaltes. Dies aber wird meiner Ansicht nach auf FD-Ebene als unnützer Klotz am Bein abgetan und nicht wertgeschätzt. 

So erfahre ich z.B. im Podcast des Floorballmags, dass der Vorstand mehr Geschäftsstellenpersonal benötigt und die Mittel von den Landesverbänden in einer baldigen Sitzung des Gesamtvorstands einzuwerben gedenkt. Als Repräsentant eines LVs aber habe ich davon noch nie zuvor gehört.

Dies mag der bereits angesprochenen Überlastung entspringen, und ich möchte und werde nicht mit den Verantwortlichen tauschen. Mein Landesverband braucht mich. Stattdessen bin ich, bei aller Kritik, dankbar für die Arbeit von allen, die sich im Bundesverband engagieren. 

Dennoch: Wenn man möchte, dass Floorball sich in ganz Deutschland ausbreitet und eine gesunde Basis in allen Bundesländern gleichermaßen entwickelt und somit die finanziellen und personellen Ressourcen für einen funktionsfähigen Nationalverband bereitzustellen in der Lage ist, dann muss man es schaffen, ein Gemeinschaftsgefühl aller Beteiligten zu erreichen. Wer stets nur die großen Ziele ins Visier nimmt, vergisst dabei leicht, was das Fundament für jedes funktionierende Team ist: offene Kommunikation, Beteiligung von allen und Wertschätzung für die Arbeit eines jeden. Der Rest ergibt sich automatisch daraus. Wer nur von oben her denkt, ist blind für die Basis.

Hart formuliert: Nationalmannschaften interessieren mich nicht. Ich finde es zwar schön, dass es sie gibt, schaue ihnen gerne im Livestream zu und freue mich, wenn es gelingt, dass die Spieler endlich mal nicht mehr alles aus der eigenen Tasche berappen müssen, um unser Land auf internationaler Ebene zu vertreten.

Wenn sich aber alles gefühlt nur noch um die Spitze dreht, alle Energie ausnahmslos dorthin fließt und der Nationalverband keinerlei Impulse mehr setzt für die Entwicklung der Basis, sondern sich stattdessen auf den sehr bequemen Standpunkt zurückzieht, dafür seien doch die Landesverbände zuständig, dann halte ich diese Einstellung für kurzsichtig und falsch.

Wir müssen verstehen, was wir im Moment sind: eine kleine und langsam aufstrebende Sportart mit begrenzten Mitteln. – Und zugleich müssen wir unser großes Ziel im Auge behalten: dass jedes Kind in Deutschland weiß, was Floorball ist. Aber nicht, weil man es irgendwo mal im TV oder im Livestream gesehen hat, sondern weil man es selbst schon gespielt hat und den Lochball liebt.

Das Floorballmag freut sich immer über kompetente Gastbeiträge, die neue Perspektiven bieten und den Dialog fördern. Bei Interesse an einer Veröffentlichung schreibt uns gerne an info@floorballmag.com.