Nach einigen organisatorischen Fehltritten rettete ein sportlich überragendes Final-Wochenende das WM-Turnier in Helsinki. Schweden ist Weltmeister, aber von einem bestimmten Herausforderer dürfte in Zukunft noch zu hören sein. Ein brauchbarer Auftritt der deutschen Auswahl endete hingegen mit einem mäßigen neunten Platz und zeigte, wo die Schwächen der hiesigen Spitze liegen. Ein Gastbeitrag von Jan Kratochvil.
Schweden erobert Titel zurück
Irgendwie schien es so, als hätte es die Pandemie nie gegeben. Zumindest nicht während der Halbfinal- und Medaillenspiele. Nicht nur wegen der über 12.000 ZuschauerInnen. Die Intensität und spielerische Qualität, mit der Finnland und Schweden im Finale um Gold rangen, beeindruckte. Lange schien Justus Kainulainen mit einem Hattrick zum überraschenden Star des Endspiels zu avancieren. Auch dank ihm glich Finnland im Schlussdrittel einen 2:4-Rückstand aus. Dann aber schüttelte Defensivbolzen Tobias Gustafsson selbst die namhaftesten Gegenspieler ab und schlenzte zum Titel ein. Nach fünf Jahren heißt der Weltmeister also wieder Schweden.
Wenn es nach den Tschechen geht, soll aber auch dieser Titel nicht mehr lange nur in skandinavischen Händen bleiben. Die letzte beiden Junioren-Titel gingen bereits an die Osteuropäer. In Helsinki präsentierte sich jene goldene Generationen zum ersten Mal in der Erwachsenen-Kategorie. Das Team von Coach Petri Kettunen scheiterte im Halbfinale nur denkbar knapp mit 2:3 an Finnland, um gegen die Schweiz verdient Bronze zu holen. Der 19-jährige Shooting Star Filip Langer entschied in der Verlängerung zum 4:3. Nach einigen tristen Jahren dürfte Tschechien mit großen Ambitionen zu den nächsten Weltmeisterschaften anreisen.
Holprige Organisation
Die starken Medaillenspiele in der Hartwall Arena waren aber tatsächlich bitter nötig gewesen. Tagelang mussten die Veranstalter seitens Teams, Fans und Szenemedien einiges an Kritik einstecken: Eine unwürdige Zweithalle machte insbesondere bei TV-Übertragungen einen äußerst problematischen Eindruck, hinzu kamen überteuerte Tickets, fehlende Freikarten für Teilnehmer, leere Ränge, geschlossene Fanshops. Einiges davon ließe sich mit der Pandemie erklären, vieles nicht. Intern wurde eher spekuliert, dass vor Turnierbeginn ein strenges IFF-Händchen fehlte, weil sich der Verband fast zeitgleich auch auf die Damen-WM konzentrieren musste.
Hiesigen Fans dürfte die ungewohnte Übertragung der deutschen Spiele sowie der letzten vier Topspiele aufgestoßen sein. Sämtliche Partien wurden nämlich nicht wie üblich über YouTube übertragen, sondern über sportdeutschland.tv. Warum man in Deutschland mit einer technisch unterdurchnittlichen Verbandsplattform abgespeist wurde, die auch mal spontan während eines laufenden Schlussdrittels einen fünf Clips dauernden Werbeblock einspielte, bleibt ein Rätsel. Die einzige Berechtigung hätte der deutsche Kommentar von Dennis Schiffer und Kevin Strauß sein können. Der war zwar kompetent und kurzweilig, dauerte aber aus technischen Gründen nur ein Drittel gegen Norwegen.
Deutschland mit Licht und Schatten
Durch den 6:3-Erfolg gegen Dänemark belegte das deutsche Team den neunten Platz. Mit Rückblick auf die vergangenen Turniere kein wirklicher Erfolg. Doch muss man dabei bedenken, dass das Trainerteam um Martin Brückner die Auswahl in Mitten einer globalen Pandemie zu übernehmen hatte. Wirklich formen konnte man das Team so nicht. Hinzu kommt, dass die nationalen Spielbetriebe sämtlicher Gegner bis hin zu den Platzierungsspielen während der Pandemie deutlich weniger eingeschränkt wurden. Die sportliche Entwicklung von Auswahlspielern dürfte dort also auch etwas besser fortgeschritten sein.
Teamtaktisch wirkte die deutsche Mannschaft dennoch gut aufgestellt. Die Unterschiede in den verlorenen Schlüsselspielen lagen vielmehr im individualtaktischen Bereich. In der Gruppenphase fehlte es gegen routinierte Norweger an robustem Körper- und klügerem Positionsspiel, in den Playoffs gegen spielwitzige Slowaken an Improvisationsfähigkeit. Hinzu kamen mentale Löcher zu Beginn beider Partien. Beide Male musste Deutschland einem 0:4 hinterherhecheln. Dass Brückners Kader kaum über waschechte Verteidiger verfügte, kam noch hinzu. Nicht selten wurde das deutsche Team überlaufen, eben weil es die meisten Defensivposten doch zu sehr nach vorne zog. Selbst nach Abzug der Partien gegen Tschechien und die Schweiz kassierte man so im Schnitt satte sechs Gegentreffer pro Spiel – was beileibe nicht an den glänzenden Schlussmännern Jan Lemke und Mike Dietz lag.
Als es nur noch um Schadensbegrenzung ging, funktionierte der offensiv gewichtete Kader dann sehr gut – aber auch gegen Kanada wieder nur um den Preis von sieben Gegentoren. Das versöhnlichste Spiel lieferte dann Deutschlands letzter Turnierauftritt. Gewiss, die Dänen stecken mitten im Umbruch, nach Schweden reiste eine deutlich verjüngte Equipe an. Die Leistung war dennoch ein wichtiges Signal gewesen, dass man zumindest diese direkte Konkurrenz noch im Griff hat.
Die richtigen Lehren ziehen
Sollte man auch nach externen Einflüssen suchen wollen, gäbe es einige zur Auswahl. Den neuen Trainerstab und die Unterbrechung des Spielbetriebs hatten wir bereits erwähnt. Hinzu kommt, dass die Slowaken vorm erwähnten Schlüsselspiel einen Ruhetag hatten, das deutsche Team hingegen am Vorabend noch gegen die Schweiz ackern musste. Ein zusätzlicher Turniertag oder eine Verlagerung der Ausscheidungsspiele wären für einen faireren Wettbewerb definitiv hilfreich gewesen.
Zieht man die richtigen Lehren, könnte die diesjährige WM aber eine hilfreiche Lektion gewesen sein. Eine, die Schwächen offenbart, die das deutsche Floorball schon seit Jahren am nächsten Schritt hindern. Allen voran eine deutlich resolutere und körperlichere Spielweise. Diese wird in deutschen Spielbetrieben unter dem Vorwand des „körperlosen Spiels“ noch immer systematisch untergraben. Das Resultat sind technisch hervorragende Spieler, denen gegen rustikalere Gegner aber oft die nötige Kantigkeit fehlt. Früher wurde diese von Legionären ins Spiel getragen. Das heutige Team ist von solchen zwar nicht mehr abhängig, möchte man aber an Norwegen oder die Slowakei wieder aufschließen, braucht es Spitzenwettbewerbe, die vor internationaler Härte nicht kuschen – eine Ansage an Spieler, Trainer und auch ans Schiedsrichterwesen.
Der von der Pandemie verursachte Zeitdruck wird vorerst nicht abnehmen. Schon Anfang Februar soll im italienischen Lignano Sabbiadoro die nächste WM-Qualifikation stattfinden. Einer der Gegner ist wieder die Slowakei. Das Endturnier in der Schweiz stünde dann ungewohnt schon Anfang November an. Für langfristige Entwicklungen bleibt also erneut keine Zeit. Man muss aus der Situation einfach das Beste machen. Daran dürfte Brückners Team aber mittlerweile gewöhnt sein.