Die Zeit einer Sommerpause gibt uns immer wieder beste Gelegenheit, um Themen abseits des Floorball-Alltags zu vertiefen. In diesem Fall blicken wir zurück auf die Floorballentwicklung der letzten Jahre. Und es könnte keinen besseren geben, der uns mitnimmt auf diese Reise als Fabian Mieloch, der seit 2006 in verschiedensten Rollen (Spieler, Trainer, Schiedsrichter, Funktionär) und in verschiedensten Regionen der Bundesrepublik unterwegs war. Ein Gastbeitrag.
Wir schreiben das Jahr 2012 – der deutsche Floorball steht am Anfang eines wichtigen und historischen Jahrzehnts. Die Ambition und Euphorie im deutschen Floorballland ist groß. Floorball sollte sich aufmachen wichtige Meilensteinen zu erreichen, von denen die Szene Jahre zuvor nur zu träumen wagte – Aufnahme in den DOSB (2014), Platzierung in den Top-4 bei einer Herren WM (2012) und die Einstellung des ersten hauptamtlichen Mitarbeiters im Verband (2014) – mittlerweile sind es vier. All dies ist dank viel Leidenschaft, Herzblut und wachsender Professionalisierung geglückt. Mittlerweile verfügt der Floorballsport in Deutschland über einen großen nationalen Spielbetrieb mit 42 Teams, ein spektakuläres, jährliches Final4 Event in Berlin, einen eigenen Leistungsstützpunkt für die Nationalteams, zahlreiche Livestreams von nationalen Liga- und Pokalspielen und die ersten in Deutschland geborenen und ausgebildeten Floorballer, die es in die Schwedische SSL geschafft haben. (ZDF Beitrag über die Gebrüder Heins)
Man sollte also meinen es ist alles in Butter und unser geliebter Sport entwickelt sich prächtig. Leider ist das nur die eine Sicht auf die Floorballentwicklung. Aus anderer Perspektive tritt der Floorballsport seit einigen Jahren auf der Stelle. Während versucht wird den Spitzenbereich immer weiter zu professionalisieren (Nationalteams und Bundesligen) findet in der Breite kaum noch Entwicklung statt. Die positiven Mitgliederentwicklungen aus dem ersten Jahrzehnt des Jahrtausends können nicht mehr erreicht werden. Die Vereine, die am Herren und Damen Großfeld-Spielbetrieb teilnehmen stagnieren seit vielen Jahren. Floorballentwicklung in der Breite findet leider hauptsächlich nur noch in einigen Teilen des Landes und wenigen Vereinen statt.
In der Rangliste (Stand 2022) der Sportverbände im DOSB rangiert Floorball auf Platz 55 (Mitglieder 12.589), hinter Verbände wie Cheerleading (Platz 46; Mitglieder 21.075) oder dem Bundesverband Deutscher Kraftdreikämpfer (Platz 53, Mitglieder 16.875).
Was ist das Ergebnis dieser gegenteiligen Entwicklung in Spitze und Breite?
Wir verlangen im Rahmen zunehmender Professionalisierung den Spielern und Vereinen, die im Spitzenbereich dabei sein wollen immer mehr ab. Nationalspieler sollen 4 – 6 Trainings die Woche absolvieren – davon mindestens drei in der Halle. Sie sollen dem Sport so weit möglich alles unter ordnen – auch wenn dies Umzüge oder sehr lange Fahrtwege zum Training voraussetzt. Die Mannschaften der Bundesligen absolvieren immer mehr Spiele und reisen immer weiter, um den steigenden Ansprüchen gerecht zu werden.
All dies ist natürlich erstrebens- und wünschenswert, doch wäre diese Entwicklung deutlich gesünder, wenn diese durch einen Druck aus der Breite entstehen würden. Wenn also immer mehr Vereine die Ambition hegten in den 1. und 2. Bundesligen zu spielen, die aus den etlichen Regionalligen hervorgingen. Regionalligen, die sich den Namen verdienen, aus einem dutzend Teams bestünden und ebenfalls von ambitionierten Verbandsligen dem sportlichen Wettbewerb ausgesetzt wären. Wenn daraus tatsächlich Regionalligameisterschaften nötig wären, um die Aufsteiger in die 2. Bundesliga zu ermitteln und aus diesen ausreichend Teams in die 1. Bundesliga aufsteigen wollten. Wie wir alle wissen sind wir davon jedoch mangels Teams und Vereinen weit entfernt.
Während 2012 insgesamt 69 Vereine im Herren Großfeldspielbetrieb in Deutschland aktiv waren, spielten 25 dieser in der ersten oder zweiten Bundesliga (36%) – also gut jeder dritte Verein. 2023 nahmen mit 72 nahezu genauso viele Vereine (2./3. Mannschaften ausgenommen) am Großfeldspielbetrieb teil, jedoch spielten in der letzten Saison 33 Vereine in der 1. oder 2. Herren Bundesliga, dies ergibt einen Anteil von 46% – somit spielte fast jeder zweite Verein im nationalen Spielbetrieb.
Solange wir also weiter Jahr für Jahr daran arbeiten Teams aus den regionalen Spielbetrieben rauszuziehen (Erhöhung 1. Bundesliga, 2. Bundesliga, Damenbundesliga), um hier einen attraktiven Wettbewerb anzubieten, ohne zumindest adäquat – besser additiv – neue Großfeldteams in den Regionen heranzuzüchten, werden wir diesen Druck aus der Breite nicht erzeugen können. Ohne diesen Druck werden wir wohl auch in den nächsten Jahren die Farce erleben müssen, dass Mannschaften einfach in den Bundesspielbetrieb „aufsteigen“ können – ohne sich dafür sportlich zu qualifizieren – wir werden weiterhin erleben, dass Teams Ihre Spiele absagen (Tollwut Ebersgöns 2023) oder absichtlich verlieren (Quedlinburg 2022), um dem Aufstieg in die 1. Liga zu umgehen oder sich nicht in der Lage sehen (finanziell oder personell) den sportlich Wettbewerb im Pokal (Baltic Storms 2022) anzunehmen. Ebenfalls erleben wir weiterhin Bundesligen für die gar nicht genug Teams vorhanden sind, um die Ligagröße vollständig auszufüllen – in der Saison 2022/2023 waren beispielsweise nur 6 der 8 Startplätze in 2. Bundesliga Ost besetzt.
Diese gegensätzliche Entwicklung spiegelt sich auch bei den Angestellten und Honorarkräften der Verbände wieder. Während die Anzahl der Menschen, die mit Floorball im Verbandswesen ihr Geld (ganz oder teilweise) verdienen in den letzten Jahren von 6 (2012 – honorarbasiert) auf 41 (2022) – 8 davon in Voll- oder Teilzeit – deutlich angestiegen ist, beschäftigen sich diese überwiegend mit der Organisation des Spielbetriebs, den Nationalteams sowie Landesauswahlen. Ein Gleichwicht auch die Entwicklung in der Breite voranzutreiben besteht leider nicht.
Die ersten positiven Pflänzchen scheinen jedoch gesät, so wird zur Saison 2024/2025 voraussichtlich die Anzahl der Teams in der 2. Herren Bundesligen durch die Konzentration auf zwei Ligen reduziert. Zusätzlich beschäftigt sich der Verband – mutmaßlich erstmals – mit seinem Status Quo, Vision und nötigen Maßnahmen im Rahmen der Floorball: Fit For Future Initiative.
Es ist jedoch noch viel zu tun, wenn weder im Dachverband (Floorball Deutschland) noch seinen Landesverbänden flächendeckend einfache und wichtige Kennzahlen, wie die Entwicklung von Mitgliedern, Vereinen und Teilnehmern an Schulmeisterschaften aus dem letzten Jahrzehnt vorliegen und verfügbar sind – weil sich anscheinend niemand dafür interessiert.1
Was also tun, um den Geist von Anfang des Jahrtausends mitzunehmen und Floorball in Deutschland zu einer großen Sportart zu entwickeln – ein paar Ideen:
- Die Entwicklungen und Ambitionen im Spitzenbereich (Nationalmannschaft, Bundesligen) müssen beibehalten und ausgebaut werden.
- Die Entwicklung in der Breite muss deutlich gefördert werden, sowohl von Floorball Deutschland, als auch seinen Landesverbänden.
- Es muss ein klares Kennzahlensystem (KPI) eingeführt werden, um Fehlentwicklungen zeitnah zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.
- Es braucht sowohl in den Vorständen, als auch bei den Angestellten von Floorball Deutschland und seinen Landesverbände klare Verantwortungsbereiche, die sich explizit um die Entwicklung in der Breite kümmern.
- Wir brauchen einen konsequenten Fokus auf den Großfeldspielbetrieb:
- Abschaffung von Deutschen Meisterschaften (Kleinfeld) im Erwachsenen, U17 und U15 Bereich
- Zeitnahe Etablierung von Deutschen Meisterschaften auf dem Großfeld für die Altersklassen U152 und U13
- Es braucht eine klare Vision, bei der messbare Ziele das Fundament bilden, beispielsweise für 2030:
- > 20.000 Mitglieder
- > 400 Vereine
- Platz 45 im DOSB Ranking
- > 125 Vereine im GF-Spielbetrieb Herren
- > 30 Vereine im GF-Spielbetrieb Damen
Daraus müssen klare Maßnahmen abgeleitet werden, welche die Erreichung dieser Ziele ermöglichen.
Der Floorballsport in Deutschland scheint am Scheideweg. Schaffen wir es gemeinsam im nächsten Jahrzehnt den Turbo zu zünden und unseren geliebten Sport wieder auf die Überholspur zu bringen oder geben wir uns damit zufrieden Sportart #55 in Deutschland zu sein?
1Ein Großteil der Daten wurde nach Fertigstellung des Artikels durch die Geschäftsstelle von Floorball Deutschland bereitgestellt, daher enthalten die Diagramme auch keine leeren Stellen. Allerdings lassen sich große Defizite in der internen Kommunikation vermuten, wenn solche einfachen Anfragen nicht zeitnah zur Beantwortung an die richtigen Leute weitergeleitet werden.
2Ab der Saison 23/24 ist eine Deutsche Meisterschaft im U15 GF geplant. Quelle: Rahmenspielplan FD 23/24