Die Floorball-WM in der Schweiz lieferte nach einigen durchwachsenen Jahrgängen endlich mal wieder ein Schritt nach vorne. Nicht nur für die deutsche Nationalmannschaft, sondern auch für den Sport als Ganzes. Gleichzeitig machte sie auch die gemeinsamen Hausaufgaben für die nahe Zukunft deutlich – auf und neben dem Platz.
Deutschland mit Balance
Das diesjährige Turnier war die sportlich erfolgreichste Herren-Weltmeisterschaft der deutschen Floorball-Historie. Eine steile These, aber warum nicht? Während der sensationelle Halbfinal-Einzug vor zehn Jahren doch erheblich dem Zufall geschuldet war (Deutschland traf im Viertelfinale überraschend auf Lettland, weil dieses zuvor Tschechien düpiert hatte) und mit wenigen Ausnahmen auf der Stärke im Ausland ausgebildeter Spieler fußte, war 2022 anders.
Für die Deutschen hatte die WM zunächst mit zwei seltsamen Niederlagen begonnen. Gegen Schweden kassierte man mit 19 Treffern eindeutig zu oft, traf aber selber viermal. Der 1:8-Zwischenstand gegen die Tschechen ließ den Favoriten im Schlussdrittel zwar etwas betäubt auftreten, dass Deutschland dieses aber mit 5:0 gewinnen konnte, kam nicht von ungefähr. Denn statt sich gegen die Topteams zu verkriechen, kam man auf jene Betriebstemperatur, die die späteren Erfolge erst möglich machte.
Lange hatte das deutsche Team ein ausgewachsenes Verteidiger-Problem. Offensives Geschick war zwar durchaus vorhanden, es fehlte aber an notwendiger Körperlichkeit – sogar noch zuletzt bei der WM-Quali als man gegen die Slowakei gefühlt chancenlos war. Ganz ausgemerzt ist das Problem zwar noch nicht, man merkt aber, dass das Team gelernt hat, insgesamt rustikaler aufzutreten – eine dringende Kompetenz auf internationalem Parkett sowie die Grundlage für den 6:4-Sieg gegen Lettland im dritten Gruppenspiel und insbesondere den 6:5-Erfolg gegen Norwegen – das im Gegensatz zu Deutschland am Tag zuvor sogar spielfrei hatte.
Natürlich sind Spieler wie Heins oder von Pritzbuer ein Glücksfall für Brückners Nominierung gewesen. Legionäre, die ihr Handwerk in Deutschland zwar erlernt, im Ausland aber vergoldet haben und somit einen direkten Bezug zur deutschen Szene behielten. Aber auch in der Schweiz ausgebildete Kaliber wie Wöcke oder Lemke schlugen durch. Hinzu kamen noch Bundesligaspieler wie Hofferbert, die Brökers oder der herausragende Hoppe, die nicht nur sportlich einen drauflegten, sondern gleichzeitig auch wichtige Fangemeinden aktivierten. Endlich eine optimale Balance.
Die schlussendliche 3:8-Niederlage gegen Lettland im Spiel um Platz fünf tat zwar weh, täuscht aber nicht über den Erfolg im Turnier hinweg. Vielleicht kommt sie sogar zu pass, um den Spielern wichtige Baustellen für 2024 aufzuzeigen – in diesem Spiel konkret defensive Konsequenz und offensive Abgeklärtheit wenn ein Spiel mal körperlicher ausfällt. Alles in allem gelang aber ein weiter Sprung nach vorne.
Noch keine Zeitenwende an der Spitze
Bei Finnland hatte Trainer-Guru Petteri Nykky viele mit seiner Nominierung enttäuscht. In engen Kreisen war vom „Sauna-Bonus“ die Rede. Die Erneuerung des Kaders entschied sich Nykky seinem Nachfolger Esa Jussila zu überlassen und setzte auf satte zehn Spieler von Classic – das mittlerweile aber leider nicht mehr jene Dominanz aufweist wie noch vor ein paar Jahren. Das Ergebnis war eine Mannschaft, der all jener Wahnsinn fehlte der in der Vergangenheit das finnische Spiel so schön machte. Da half auch die Nachnominierung von „Enfant Terrible“ Kotilainen nicht, der Pylsy ersetzte, welcher aufgrund von starken gesundheitlichen Problemen ausfiel. Im Halbfinale war man zwar nah dran am Sieg gegen Schweden, am Ende musste aber Bronze reichen – gegen die enttäuschenden Schweizer.
Für die Eidgenossen sollte der Heimvorteil einen entscheidenden Faktor spielen. Statt dessen untermauerte man nur seine Rolle als Nummer vier der Welt, klar hinter den Tschechen. Daran konnten auch die starke GC-Line sowie Einzelkönner wie Jan Zaugg nichts ändern. Im Halbfinale war der Unterschied besonders sichtbar, Tschechien zerschoss die Heimmannschaft regelrecht mit elf Toren. Und auch im Spiel um Bronze kam man erst zum Zug als Finnland nur noch seinen 4:0-Vorsprung verwalten musste.
In Schweden hatte man indes vorm Turnier befürchtet, man setze auf zu viele Ü30-Spieler. Zu satt sei das Team um Nilsson, Samuelsson, Nilsberth & Co. Anders als etwa die Tschechen, das jüngste Team der Top 4, zuletzt zweimaliger Junioren-Weltmeister. Im Finale kam den Schweden jene Routine aber mehr als gelegen. Denn die Herausforderer liefen auf, blieben mit Fehlpässen zu oft hängen und holten sich mit übermotivierten Aktionen Strafzeiten ein. Schweden hingegen spielte abgeklärt, stand nah am Mann und fand viel öfter zu klaren Chancen. 4:0 nach 17. Spielminuten, Endstand 9:3. Gold für Schweden.
Die zweite Riege hinterließ mehr Fragezeichen als Antworten. Was nichts schlimmes sein muss. Waren die Norweger beispielsweise mit einem 4:4 gegen die Schweiz noch sensationell in die WM gestartet, gab es gegen Deutschland und die Slowakei gleich zwei unerwartete Niederlagen. Letztere hätte man gerne in einem Spiel gegen Brückners Auswahl gesehen. Die Quali hatte schließlich eine Rechnung offen gelassen. Diesmal gelang Platz sieben. Spannend dürften in Zukunft auch die Esten werden, die die zugegeben schwache Gruppe C dominierten, aber mit ihrem Playoffspiel gegen Lettland nur eine einzige Partie verloren – knapp mit 2:5. Danach knackte man Polen und Dänemark, zwei Teams, die den Anschluss ans Verfolgerfeld nun erstmal verloren haben.
Wo Luft nach oben bleibt
Insgesamt gelang den Schweizer Veranstalter:innen ein reifes und sauber ausgerichtetes Event, das ohne sichtbare Schwächen auskam – anders als noch die WM 2021 in Finnland, deren zweite Arena eher einer umgebauten Kühlhalle glich und bei der das lokale Interesse an Floorball sehr beschränkt, bestenfalls patriotisch ausfiel. Einzig der schmerzvolle Musikgeschmack der Schweizer DJs und das trippige Branding vermochten die Sinne ein wenig zu überlasten.
Für Verwirrung abseits des Gummibodens sorgte neben einer unfertigen IFF-App auch der Livestream. Zum ersten Mal setzte der Weltverband eine Bezahlschranke um. Gleichzeitig strahlte Spontent via Twitch das Signal aber kostenlos aus, sogar ins Ausland. Spontents Übertragungen liefen technisch reibungslos ab, wiedermal bewehrte sich Twitch im Vergleich zum ungelenken Sportdeutschland TV. Trotz manch mäßiger Leistung gebührt dabei auch den Kommentator:innen Dank. Diese mussten mit schmalem Kader ein echtes Mammutprogramm stemmen. Besondere Freude machte das kompetente und kurzweilige Paar Schmidt und Sagafe, dem man gerne einen Stammplatz für die nächsten fünf Weltmeisterschaften buchen darf.
Auch die Berichterstattung durch die offiziellen Kanäle des deutschen Dachverbandes machte eine großen Schritt nach vorne. Um so trauriger erscheint dann aber die Abwesenheit der Floorball-WM in relevanten deutschen Medien. Das war schon einmal besser gewesen – man erinnere sich an den Titel „Der schlafende Riese“ in der FAZ. Der Riese schläft leider immer noch. Eine erfolgreiche PR-Arbeit ist die nächste große Baustelle von Floorball Deutschland.
Das sah im Ausland, insbesondere bei dem Topnationen anders aus – dort wurde Floorball im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen, die Presse berichtete täglich. Die Begeisterung und Reichweite, die eine derart gelungene Weltmeisterschaft auslöst, macht aber auch hier eine Schwäche der Szene noch greifbarer: Professionell und Grenzen überschreitend interessant erscheint Floorball aktuell oft nur alle zwei Jahre und nur für eine Woche. Es wäre deshalb ein wichtiger Schritt, würde der IFF endlich die Umsetzung eines attraktiven europäischen Klub-Wettbewerbs gelingen – gerne erstmal nur auf drei Wochenenden verteilt, aber verbindend, mit durchgängigen Geschichten.
Alles in allem machte die WM Hoffnung auf eine spannende Zukunft. Vielleicht etwas weniger bei der Heimmannschaft, mit Sicherheit aber an der Spitze und im Verfolgerfeld. In zwei Jahren werden sich viele Teams gewandelt haben. Schweden und Finnland werden an einem Generationenwechsel nicht mehr vorbeikommen, Tschechien wird nach Bronze und Silber kein Geheimfavorit mehr sein. Und auch bei Deutschland werden junge Spieler aufrücken um manchem bekannten Namen Konkurrenz zu machen. Gut so.